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Asteya – für allumfassenden Respekt vor den Rechten anderer.

von Alexandra Eichenauer-Knoll

„Yoga for Future“ gründete sich inspiriert durch die globale Bewegung „Fridays for Future“, die durch die damals 15jährige Schwedin Greta Thunberg 2018 ausgelöst worden war. Die Fridays gingen regelmäßig auf die Straße – für einen climate change, für ein rasches Umdenken der Mächtigen und globalen Entscheidungsträger. WissenschaftlerInnen, Eltern, KünstlerInnen, aber auch Bauern und LehrerInnen sowie alle möglichen anderen Gruppierungen griffen die Idee der Jugendlichen auf. Hardy Fürch und Gudrun Komrey traten erstmals 2019 als YogInis in diesem Kontext politisch und öffentlich aktiv auf.


Für eine gute Sache öffentlich einzustehen, vielleicht sogar dafür auf die Straße zu gehen und mit unbekannten Menschen im öffentlichen Raum darüber zu diskutieren, das braucht nicht nur Wissen um das Thema selbst und eine gute Portion Gleichmut. Es braucht auch eine fundierte Überzeugung von der Sinnhaftigkeit dieses Tuns. Es braucht einen moralischen Nährboden, auf dem der dafür nötige Mut wachsen kann.


Vielleicht gilt das nicht für jedermann/frau. Sicher gibt es Menschen, die nichts lieber tun als in Konfrontation zu gehen und Protest auszudrücken. Bei der Mehrheit lösen solche Aktionen aber wohl eher Unbehagen aus. Jedenfalls wenn man so wie ich, eine Yogini des 21. Jh., lieber in harmonischer Verbundenheit mit meinen Mitmenschen lebt als in Konfrontation zu gehen und zu riskieren, Verachtung, Anfeindungen, Ignoranz und Unverständnis zu erleben. Denn gerade der Yoga, als ein Weg Richtung ganzheitlicher Verbundenheit, möchte ja Trennendes überwinden und nicht Gräben aufreißen.

Yoga und Klima

Potenzial für Wandlung


Aber genau dort liegt auch der Knackpunkt: Ist denn nicht gerade dieses sich-dem-anderen-aussetzen eine Möglichkeit, transformative Prozesse vom Ich zum Du, vom Ich zum Wir zu üben? Heute wird viel von Meinungsblasen gesprochen und dass es schwer ist, Menschen überhaupt noch zu erreichen. Sich trotzdem anzunähern, durch nicht wertendes Zuhören, im persönlichen Kontakt, in der Magie der Präsenz und Unmittelbarkeit, könnten wir durchaus als eine bewusste Übung anlegen. Ohne Druck oder Manipulation ausüben zu wollen, hinspürend, freundlich zugetan, im besten Sinne yogisch. Wie gesagt: Ich fürchte mich vor solchen Begegnungen und doch liegt genau dort auch das größte Potenzial für Wandlung.


Aus dem Grund entfaltet sich die gute Begründung

Ahimsa trägt uns durch so viele Handlungen durch und ist auch wichtig, wenn es um Straßenaktionen geht. Gerade da.
Trotzdem möchte ich jetzt ein anderes Yama vorschlagen, das sich mMn besonders für gesellschaftspolitischen Einsatz eignet, nämlich asteya (das Nicht-Stehlen). Ich habe dieses Prinzip in meinem Buch entsprechend breit ausgelegt. [ii] Asteya, so argumentiere ich, bedeutet Diebstahl von Rechten aller Art, nicht nur von Eigentumsrechten. Sind nicht auch das Recht auf ein gutes Leben, das Recht auf Bildung oder auf einen unversehrten Körper Rechte, die existentiell bedeutsam sind, vielleicht sogar wichtiger als das Recht auf Hab und Gut?
Wenn wir asteya noch allgemeiner als nicht Verletzung von Mensch-, Tier- und Umweltrechten auslegen, können wir damit auch ein Engagement für einen climate-change begründet. Und wir bekommen so den nötigen moralischen Nährboden, um unser Engagement auch als Yogalehrende vor Familie, FreundInnen und SchülerInnen zu begründen.

Bringen wir positive Beispiele und machen wir Mut

Rechte zu respektieren impliziert auch, die Unwissenheit oder Hilflosigkeit des potentiellen Opfers nicht zu meinem Vorteil auszunützen. Wie wehrt sich der Boden, der zunehmend versiegelt, also umgebracht, wird? Wie wehrt sich die Luft gegen die CO2-Belastung und das Wasser gegen Verunreinigung und Erhitzung? Und wie wehrt sich das Ökosystem des Mittelmeeres, das zunehmend kippt? Wie kann sich die Enkelgeneration wehren und alle jene, die gerade erst oder noch gar nicht geboren sind? Aktivisten werden nach einem ersten Hype nicht mehr ernstgenommen oder zunehmend denunziert und auch kriminalisiert. Aber alle haben ein Recht auf Zukunft.

Täglich erreichen uns neue Hiobsbotschaften und entwickeln sich zu einer Zerreißprobe für unsere demokratischen Gesellschaften. Die Menschen sind zunehmend gespalten – uneinsichtig oder negierend die einen, verzweifelt, ratlos die anderen, und es gibt auch jene, die aufgerieben werden zwischen den für sie nachvollziehbaren Argumenten beider Seiten.

Als Yogalehrende unterrichten wir Entspannung und eine Entwicklung hin zu Fokus und Klarheit. Das tut jedenfalls gut. Als gesellschaftspolitisch engagierte Yoginis sollten wir aber auch Beispiele liefern, welche Rechte konkret verletzt werden und warum wir damit – gegründet in asteya, dem tiefen Respekt vor den Rechten anderer –  an die Öffentlichkeit gehen möchten.

Verzweifelt nicht, sondern denkt tiefer nach. Erst denken, dann handeln! Wir freuen uns über eure Beispiele und Texte! All dies kann zu dem nötigen Bewusstseinswandel beitragen, den es braucht, um die Mehrheit der Gesellschaft für radikale Lebensstiländerungen zu begeistern – statt sie damit zu verängstigen.

 

*Alexandra Eichenauer-Knoll: „Yoga und soziale Verantwortung. Sich gründen im Außen und Innen mit Yama und Niyama“, Windpferd Verlag, 2022, ISBN 978-3-86410-352-0

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